„Diese kleinen Katastrophen passieren eher so nebenher“

Schauspieler Tim Schreiber meistert die Krise auf seine eigene, künstlerische Art. Derzeitige Ängste werden bei ihm zu einem Stück verarbeitet, bei dem man lachen kann.

Von Tom Vörös
Pantomime, Schauspieler, Lebenskünstler: Tim Schreiber in Aktion.
Pantomime, Schauspieler, Lebenskünstler: Tim Schreiber in Aktion. © Tim Schreiber / PR

Der Schauspieler Tim Schreiber fing mit der stummen Kunst der Pantomime an. Inzwischen verbindet er diverse Genres zu kleinen Gesamtkunstwerken, die ihn vor Corona bis auf Tournee nach China brachten. Wie viele Künstler ist er durch Corona derzeit verstummt, findet aber trotzdem Worte zur jetzigen Situation.

2019 war Tim Schreiber auf einer Tournee in China und gab u.a. Theater-Workshops.
2019 war Tim Schreiber auf einer Tournee in China und gab u.a. Theater-Workshops. © Bernd Sikora / PR

Herr Schreiber, woran arbeiten Sie zurzeit?
 
An einem neuen, clownesken Abend zum Thema Angst, den ich im Juli im Dresdner Societaetstheater rausbringen werde. Regie führt Tom Quaas.

Worum geht es dabei?

Es geht darum, einen lustigen Abend zu gestalten. Mein Steckenpferd ist ja die Geräuschpantomime. Es wird eine Mischung aus Nummern-Abend und Sound-Pantomime, quasi Live-Stummfilm mit Musik. Die Thematik ist aktuell – es geht um die Unsicherheit, die Ungewissheit, die man gerade erfährt. Bisher war das Leben ja immer relativ überschaubar.

Wie definieren Sie Unsicherheit? 

Die Chance, dass man im Wald von Wölfen angefallen wird, ist ja relativ gering. Man hat sich vielleicht verlaufen, ist aber wieder rausgekommen. Diese Form der Ungewissheit ist in der westlichen Welt nahezu verschwunden. Man kann ja jederzeit das Smartphone mit Navi zücken. Die einzige Angst ist vielleicht, dass der Akku leer ist. Mit dem Virus gibt es wieder eine große Unbekannte. Wie gefährlich ist er? Was macht das mit mir und mit der Gesellschaft? Das ist etwas, was mich natürlich als Künstler sehr beschäftigt. Aber das eigentlich Wichtige für mich ist, dass man ein Programm macht, bei dem man über solche Ängste lachen kann, im ganz positiven Sinn.

Können Sie schon eine Nummer verraten?

Ich habe eine Nummer, da traut sich jemand nicht, raus vor die Tür zu gehen und redet sich 100 Dinge ein, warum er jetzt gerade nicht losgehen muss. Er steigert sich weiter hinein und stellt sich vor, dass auf der Straße eine große Schießerei beginnt. Am Ende ist er so fertig, dass er einfach zu Hause bleibt. Mithilfe von Sound-Pantomime kann man diese Thematik sehr gut szenisch inszenieren.

Gibt es dazu autobiografische Bezüge?

Viele sagen zu mir: Lass doch mal los! Aber wenn jemand gerade an einem Seil über einem Abgrund hängt, dann ist es ganz schön schwer loszulassen. Es geht darum, zu bestimmten Dingen, bei denen man vielleicht gerade festhängt, einen Draufblick zu bekommen, so dass man letztendlich darüber lachen kann. Lachen öffnet die Menschen. Und gerade in der jetzigen Zeit ist das wohl das Wichtigste. Als Künstler fragt man sich zurzeit außerdem, ob das, was man zu sagen hat, wirklich relevant ist. Und gerade beim Thema Humor habe ich ein gutes Gewissen.

Früher waren Sie vor allem Pantomime. Inwiefern hat sich Ihre Bühnen-Performance verändert?

Ich finde es inzwischen gut, die Genres zu mischen. Ich stehe ja sonst auch auf der Bühne und spreche. Mit der Pantomime kann man mit Sounds eine komplette Fantasiewelt aufbauen. Und im nächsten Moment kehrt man mental wieder zurück auf die Bühne und spricht mit den Leuten. Gerade arbeite ich mit dem Komponisten Peter Andreas an einem Konzept für Pantomime und einem Streichquartett. Normalerweise ordnet sich die Musik ja dem Theater unter. Aber jetzt schauen wir nach einer Form, wo beides gleichberechtigt zu erleben ist.

Wenn Sie auf das Jahr 2020 zurückblicken, wie optimistisch sind Sie zurzeit?

Im Januar 2020 hatte ich einen Schlüsselbeinbruch, eine OP und hatte für den Februar alle Auftritte absagen müssen. Und dann kann der März … Trotzdem haben sich über das Jahr neue Dinge ergeben.

Was haben Sie 2020 auf die Beine gestellt?

In meinem relativ großen Proberaum hat an einem Sommerabend ein Streichquartett vor circa 40 Leuten gespielt, mit Musikern von der Staatkapelle und der Philharmonie. Mit den Spenden konnte ich andere kleine Kulturorte wie das Eselnest unterstützen. Zum Auftritt dort habe ich das Honorar quasi schon mitgebracht und ohne Gage gespielt. Ein weiteres Beispiel: Im Sommer traf ich einen alten Schulfreund, der einen Zirkuszelt-Verleih hat. Gemeinsam haben wir im Sommer ein Varèté-Programm für Kinder gemacht. Das sind so Dinge, die man in der Krise so nicht erwartet hätte.

So schlimm war 2020 also dann doch nicht?

Man sagt ja, 2020 würde ich am liebsten in die Tonne treten, aber es geht ja weiter. Das Virus hat sich ja nicht am 31. Dezember aufgelöst. Wenn man so in die Zukunft schaut, empfinde ich das schon erstmal als beklemmend und frage mich: Welche Perspektiven bieten sich generell noch? Auch auf die nächsten Jahre gerechnet. Darauf habe ich momentan auch keine Antworten. Alles, was man produziert direkt ins Internet zu stellen, das kann auch nicht die Lösung sein. Ein Theater lebt ja von der Berührung, von einem kollektiven Erlebnis, bei dem dicht beisammen sitzt. Die Frage ist: Was wird gerade gebraucht und wo? Das herauszufinden, dafür gibt es kein Patentrezept.

Wie hart wurden Sie vom zweiten Lockdown getroffen?

Mit unserem Dezember-Stück „Frau Holle verliert die Kontrolle“ mit dem Projekt Schreiber & Post sind wir normalerweise deutschlandweit auf Weihnachtsmärkten unterwegs. Da hatten wir diesmal nur drei Kurzauftritte an der frischen Luft, das ist schon einschneidend. Damit finanzieren wir normalerweise die Saure-Gurken-Zeit im Januar, Februar und März. Für mich war es die erste Weihnachtszeit, in der ich kaum gespielt habe.

War das nicht auch ein kleiner Segen?

Klar, man war mehr mit der Familie zusammen. Diese Krise ist ambivalent, das kann man nicht anders sagen. Der eine freut sich über diese Freizeit und Ruhe, der andere hat totale Existenznöte. Die Kinder freuen sich, dass ihre Eltern viel Zeit haben. Den Eltern fehlt aber zum Teil der Schutzraum, den sie sonst haben. Diese kleinen Katastrophen passieren eher so nebenher. Diese Zeit war natürlich auch schön, weil man wieder näher zusammengerückt ist.

Welche Rezepte haben Sie für die wärmere Zeit?

Sommertheater wird auf jeden Fall Open Air wieder möglich sein. Mein Stück ist für draußen konzipiert und wurde von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen gefördert. Man schaut voraus, organisiert und plant weiter.

Gab es Feedback von den Fans?

Da wir auch ein Kindertheater sind, gibt es auf jeden Fall viel Feedback nach dem Motto: „Halte durch! Wir drücken Euch die Daumen!“ Vor zwei Jahren haben wir einer Boogie-Tanzgruppe aus Zwönitz einen Theaterworkshop gegeben. Die haben jetzt Geld gesammelt und etwas an uns gespendet. Oder die Frau Holle-Spendenkampagne über den Weihnachtsmarkt. Es bringt ja nichts, wenn ich mich als Künstler hinstelle und sage „Ich bin relevant“, das muss schon das Publikum machen. Und es ist ja auch schön, wenn man merkt, dass die Leute Sehnsucht nach Theater haben.

Wie optimistisch sind Sie für 2021?

Jetzt kommt der Februar, dann der März, irgendwann der April und dann ist Frühling. Dann gehen die Leute wieder nach Draußen, dann blüht man auch wieder auf. Der Frühling wird auf jeden Fall kommen, das ist sicher. Das ist ein Rhythmus, auf den man in diesen Zeiten ein bisschen vertrauen kann. (lacht) Und man hat auch wieder mehr Möglichkeiten. Man muss eben aus den Dingen, die sich ergeben immer das Beste machen. Ich freue mich auf die Begegnungen, wenn es wieder möglich ist.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft als Künstler generell?

Zurzeit gilt es natürlich, mit den Lebenshaltungskosten zu haushalten. Ich plane aber nach wie vor vorausschauend und habe ja meine Kunst, das empfinde ich nach wie vor als ein großes Geschenk. Auf diese Art gehe ich das neue Jahr an. Meine Devise lautet: Irgendwas geht immer. (lacht)

Kurz vor Corona waren Sie noch auf Tournee in China. Was haben Sie dort erlebt?

Vom 4. bis 14. November 2019 waren wir mit dem Theaterzirkus in China, am 9. November in Shanghai, wo wir einen Workshop für Studenten gaben. An diesem Schicksalstag, dem 9. November, fuhren wir von einem Ende der Stadt zum anderen und mir wurde plötzlich bewusst: Vor 30 Jahren ist die Mauer gefallen und ich war irgendwie froh, weil ich nie gedacht hätte, dass ich mal mit einer internationalen Kompagnie auf Gastspielreise gehen darf. Das war immer mein Traum und der hatte sich in dem Moment erfüllt. Ich war so dankbar für diese Freiheit. Doch genau in diesem Moment durchzuckte den Bus eine Art Blitz, vom flächendeckenden chinesischen Verkehrs-Überwachungssystem. Da wurde mir plötzlich klar, dass wir diese Form von Freiheit, die wir in unserem Land haben, nicht bis zum Lebensende gepachtet haben, sondern wir müssen uns dafür einsetzen.

www.facebook.com/MimeTimSchreiber

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