‚Oh du stille Zeit‘ - Wie (üb)erleben Chöre die Pandemie?

Ob festlich oder fetzig - stimmungsvolle Weihnachtslieder gehören für viele von uns genauso zum Advent wie Plätzchen und Glühwein. Doch wie erleben Dresdens Chöre eine Weihnachtszeit, in der Proben und Konzerte gar nicht stattfinden dürfen? Wir haben nachgefragt...

Von Marie-Luise Redlich
Chorsänger mit Mundschutz
Bereits bei seinem Jubiläumskonzert im Oktober 2020 muss das Junge Ensemble Dresden ein strenges Hygienekonzept berücksichtigen. © Cosima Vogel

Der Advent ist für viele MusikerInnen und insbesondere Chöre die normalerweise proben- und auftrittsreichste Zeit im Jahr, der in erwartungsvoller Vorfreude entgegengefiebert wird. Ob Weihnachtsoratorium oder fetzige Poparrangements beliebter Weihnachtslieder – die Dresdner Chorszene bietet für Musikliebhaber jeden Geschmacks zahlreiche Angebote. Doch in diesem Winter scheint alles anders zu werden – nicht zum ersten Mal macht Corona so mancher Konzertplanung einen Strich durch die Rechnung. Nach Wochen der Ungewissheit und banger Blicke auf steigende Inzidenzen gilt nun seit dem 22. November ein offizielles Probenverbot für Laienchöre. Zuletzt war bereits der für Mitte November geplante 4. Dresdner Chortag abgesagt worden. Wie gehen die Chöre Dresdens damit um und welche Perspektiven bleiben für die Vorweihnachtszeit? Wir haben mit einigen Mitgliedern und Dirigenten gesprochen.

Noch bevor am 22. November neue Corona-Regelungen wirksam wurden, hatte der Singt-Pauli-Chor Dresden seine Probentätigkeit eingestellt. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war vor allem die aktuelle soziale Debatte, erzählt uns Leiter Clemens Weichard: „Wir sind eine Abendveranstaltung, die mitten in der Stadt stattfindet. Man guckt direkt im Erdgeschoss nach draußen – und Personen gucken rein. Das ist normalerweise ein schönes Training für Auftreten in der Öffentlichkeit. Aber jetzt, wo sich jeder etwas unsicher und vielleicht auch ‚schuldig‘ fühlt, ist das eine Situation, in die ich psychisch niemanden reinsetzen möchte. Die Debatten finden ja doch sehr polarisiert statt und da will mancher nicht unbedingt angesprochen werden.“
Doch es geht nicht nur um Stimmen von außen, sondern auch um die Haltung der ChorsängerInnen selbst. „Im Chor haben wir eine relativ offene Diskussionskultur. Da bekomme ich eben auch ein Statement von Personen, die seit 18 Monaten nicht da waren und sagen: ‚Das ist mir zu riskant, ich arbeite mit älteren Menschen zusammen‘. Diese Stimmen gibt es natürlich auch. Das sind Stimmen, die ich mir zu Herzen nehme und die mir auch ins Gewissen reden“, erklärt Clemens Weichard.

Chorsänger beim Konzert
Die Singt-Paulis beim Konzert mit Leiter Clemens Weichard. © Singt-Pauli-Chor Dresden

Ein Konzept für die Vorweihnachtszeit hatte er sich bereits überlegt, ehe das offizielle Verbot für Chorproben absehbar war: Outdoor-Proben bis Weihnachten, Reduzieren des Repertoires, einfache Stücke. „Damit wir bis zur letzten Sekunde darauf eingestellt wären, doch noch Musik machen zu können.“
Schwierig empfand der Leiter der Singt-Paulis die mangelnde Kommunikation und Transparenz der vergangenen Wochen und Monate – zu ungenau wirkten auf ihn die Vorgaben, was man in punkto Probentätigkeit eigentlich dürfe. „Die ständige Unsicherheit: Was kommt denn jetzt eigentlich? Man hinkt in der Kommunikation Monate hinterher. Chöre werden in den Verordnungen quasi nicht erwähnt.“ Zumindest dahingehend herrscht mit den Regelungen des 22. November nun mehr Klarheit als vorher – immerhin.

Auch im Gespräch mit Christoph Konczak und Stephanie Pfeifer, Vorstandsmitglieder von Vokalwerk Dresden, tauchen ungenügende Kommunikation und Transparenz als Kritikpunkte auf. „Wir haben uns untereinander immer abgestimmt und jeder hat nochmal recherchiert, auch wir im Vorstand. Daraus haben wir uns dann unsere Regelungen abgeleitet und versucht, es mindestens so streng zu handhaben, wenn nicht sogar noch strenger, weil wir einfach vorsichtig sein wollten und unsicher waren, ob das wirklich so stimmt.“ Zusätzlich zu einem strengen Hygienekonzept waren ungeimpfte Chormitglieder in den vergangenen beiden Proben bereits nur noch im Livestream und nicht persönlich anwesend. Auch Testungen vor den Proben wurden diskutiert – man entschied sich letztlich dagegen, da die zusätzliche finanzielle Belastung vom Chor einfach nicht getragen werden konnte. Eine Schwierigkeit, vor der viele Chöre in den vergangenen Wochen standen – nicht jede Vereinskasse gibt die Finanzierung wöchentlicher Tests für sämtliche Mitglieder her. 

Jubelnder Chor
Hier gibt es noch allen Grund zum Jubeln und Freuen für die Mitglieder des Vokalwerks Dresden. © Vokalwerk Dresden

Die Perspektive des Vokalwerks für die Vorweihnachtszeit lautet: Online-Proben. Doch auch diese müssen gut vorbereitet sein – ein zusätzlicher organisatorischer Aufwand. Im vergangenen Jahr hatte der Chor, wie viele andere auch, ein spontanes Weihnachtsvideo produziert. In diesem Jahr fehlten allerdings, gibt Stephanie Pfeifer zu, bei vielen SängerInnen die Geduld und das Verständnis für ein so zeitaufwändiges Projekt. Dass bereits zum zweiten Mal die Adventszeit so stark unter dem Einfluss von Corona steht, sorgt für Enttäuschung, erzählt sie: „Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass von jetzt auf gleich entschieden wird, dass wieder alles nicht stattfindet. Das belastet, finde ich.“ Eine langfristige Kommunikation, ab welcher Inzidenz man mit Probenverboten rechnen muss, wäre hilfreich gewesen: „Es hätte sicher geholfen, wenn es vorher eine klarere Ansage gegeben hätte. Dass wir eine Vorlaufzeit haben für Plan B. Dass es jetzt selbst mit 2G nicht mehr geht – das kommt überraschend.“

Als Jurgita Česonyte im November 2020 die künstlerische Leitung des Jungen Ensembles Dresden übernimmt, steuert man geradewegs in die nächste Proben-Dürre. Erst Monate später ist es ihr erstmals möglich, ihre SängerInnen persönlich in Präsenzproben zu sehen. Bereits im Januar 2020 hatte der Kammerchor seine Weihnachts-CD Licht über Licht aufgenommen und darauf gehofft, diese im Rahmen der geplanten Adventskonzerte vorstellen zu können – ein Vorhaben, das in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal pandemiebedingt unmöglich ist. 

Chor steht am Elbufer
Im Sommer 2021 gibt es für die SängerInnen des Jungen Ensembles für kurze Zeit etwas Normalität in den wöchentlichen Proben. Sogar ein Videodreh am Elbufer ist möglich! © Cynthia Bury

In den vergangenen Wochen hatte das Junge Ensemble bereits fleißig für die anstehenden Adventskonzerte geprobt. Bis zuletzt war jedoch selbst das Finden eines Auftrittsortes problematisch gewesen – einen Chor unter den aktuellen Bedingungen zu beherbergen, davor scheute sich zunehmend so mancher Veranstalter. In der jetzigen Situation trotzdem als Gemeinschaft verbunden zu bleiben, das liegt Jurgita Česonyte besonders am Herzen: Sich zur gewohnten Probenzeit per Videokonferenz sehen oder einfach in einer Kleingruppe wandern gehen – Ideen, miteinander in Kontakt zu bleiben, hat sie so einige.

Etwas anders sieht es bei Profichören aus – Probentätigkeit fällt hier unter Berufsausübung, und die ist mit ‚3G am Arbeitsplatz‘ weiterhin erlaubt. Dass alle Kulturveranstaltungen gerade abgesagt sind, erschwert dennoch die Perspektive auf Konzerte. Olaf Katzer, künstlerischer Leiter von AuditivVokal Dresden, bemüht sich um eine breitbandige Perspektive: „Das Beste daraus zu machen, das war von Anfang an eines meiner Ziele. Und auch die Situation von einer anderen Seite zu beleuchten. Klagen hilft auch nicht weiter – es ist ein Moment, das Leben neu zu betrachten und eingefahrene Muster zu hinterfragen, auch im Musikbetrieb.“ 

Sänger beim Konzert
AuditivVokal beim Konzert mit Leiter Olaf Katzer. © Klaus Gigga

Ob Frust vorhanden sei über die aktuelle Situation? Nun, so Katzer, die Lage erfordere einen Umgang als Profis. Natürlich sei eine mentale Belastung da – gerade für freischaffende Musiker sei das Wegbrechen eines geregelten Einkommens ein deutliches finanzielles Problem. Man sei im Stress und auch am Limit. Aber: Es sei eben auch ein Beruf. „Natürlich finde ich die Schließungen nicht gerechtfertigt“, so Katzer, „aber wir denken zu wenig an die Leute, die jetzt gerade Schwerstarbeit tun. Und die haben, finde ich, viel zu wenig Wertschätzung in der Gesellschaft. Bei AuditivVokal konnten wir uns auch mal eine Zeit lang ohne Publikum äußern. Jeder Künstler braucht auch mal eine Auszeit. Natürlich gibt es eine solche ‚Auszeit‘ nun schon zum wiederholten Mal und die Möglichkeiten sind wirklich ausgeschöpft. Doch trotzdem steht das in keinem Verhältnis zu dem, was beispielsweise gerade in Krankenhäusern passiert.“

Bei allen aktuellen Herausforderungen eint die Chöre – egal ob Profi- oder Laienensemble – am Ende doch eine Sache: die Liebe zum Musizieren und der Wunsch, dies in Gemeinschaft zu tun – und sei es in Videokonferenzen. So findet auch Jurgita Česonyte tröstliche Worte für ihre SängerInnen: „Kopf hoch, weitermachen, einfach singen. Wir machen das Beste, was geht.“ 

Weitere Informationen und Interviews mit Dresdner Chören gibt es auf der Homepage hier.