„Ich werfe den Leuten nicht einfach eine Torte ins Gesicht“

Yaelle Dorison ist Clownin und ein „Kulturgesicht“ Dresdens. Die Initiative hilft Kulturschaffenden dabei, die Krise zu überstehen.

Von Tom Vörös
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Yaelle Dorison hofft auf den Start der Veranstaltungssaison. © Daniel Scholz / PR

Eine Französin, die in Dresden heimisch wird – Yaelle Dorison arbeitet seit zwanzig Jahren künstlerisch und pädagogisch mit kleinen, großen und ganz großen Kindern. In Ihrer Arbeit erforscht sie u.a. als Zirkustrainerin, Clownin und Sprachtrainerin das Spannungsfeld zwischen Humor, Sprache, Fantasie, Malerei und Musik. Im Interview erzählt sie, wie sie zur Clownsfigur Ciboulette Klimbim wurde und wie man trotz Corona weiter Spaß an der Arbeit haben kann.

Zwei Clowninnen bei der Arbeit: Yaelle Dorison (re.) und Elisa Mendt.
Zwei Clowninnen bei der Arbeit: Yaelle Dorison (re.) und Elisa Mendt. © privat

Frau Dorison, wie sind Sie zur Clownin geworden?

Der Clown der in mein Leben gekommen ist war auf jeden Fall ein Glücksmoment. Das ist jetzt 20 Jahre her. Ich habe in der Bretagne/Frankreich an einer Kunsthochschule studiert und einen Clownskurs bei der Zirkusschule in der Nähe belegt. Dort habe ich dann festgestellt: Diese Art der Verwandlung gibt mir unglaublich viel Energie und verschiebt den Blick auf die Realität ein bisschen. Das war sehr befreiend für mich. Als Clownin gibt keine Konventionen mehr. Man kann auch Fehler machen und sich sogar darüber freuen. Die Gesellschaft erwartet ja, dass wir immer alles richtig machen. Die Figur des Clowns muss diesen Anspruch nicht erfüllen.

Wie kann man sich diese Art von Freiheit genauer vorstellen?

Das Gefühl der Freiheit lässt sich vielleicht so beschreiben: Wenn Kinder eine Pfütze sehen, dann treten sie hinein, planschen und freuen sich. Alle anderen gehen wahrscheinlich lieber drumherum. Wenn ich zur Clownin werde, dann bin ich sozusagen „anders“.. Dann kann ich Dinge tun, die nicht erlaubt sind: Ich kann auch in die Pfütze springen Das ist so etwas wie ein spezieller Pass, den man mit sich führt.

Sind Sie so ein typischer Clown, den man aus dem Zirkus kennt?

Ich bin eher ein achtsamer Clown bzw. eine achtsame Clownin. Ich verkörpere unterschiedliche Figuren. Die Clownsfigur hat sich ja historisch gesehen in eine gewisse Richtung, zur Spaßfigur entwickelt. Aber der eigentliche Ursprung und das Anliegen war es, den Menschen mehr Raum zum Atmen zu geben, das ist auch für mich viel wichtiger. Ich werfe den Leuten also nicht einfach eine Torte ins Gesicht, sondern schaue erst einmal per Augenkontakt, ob die Person überhaupt Lust aufs Spaßmachen hat. Und wenn nicht, dann gehe ich meinen Weg weiter.

Was schätzen Sie besonders an Ihrem Berufsleben?

Zurzeit vor allem, dass ich an vielen Orten einsetzbar bin. Auf der Bühne geht es ja gerade nicht, aber ich arbeite zurzeit in Pflegeheimen, in 1:1-Situationen mit jeweils einer Person, mit Maske und Abstand. Das hat den Vorteil, dass ich mich voll und ganz auf diesen einen Menschen einlassen kann.

Wie läuft so etwas genau ab?

Wir werden erst einmal auf Corona getestet. Wenn ich dann negativ bin, ziehe ich mich um und begegne dann mit Maske und roter Nase einzeln meinen Zuschauern. In normalen Zeiten nutzen wir für die Begegnung auch leichten Körperkontakt, etwa mit Massagegeräten. Aber zurzeit dürfen sich die Menschen ja nicht berühren. Jetzt heißt es vor allem: Improvisation im Moment, spontan herausfinden, was der Mensch gerade braucht. Wenn ich ins Zimmer komme, dann ist es jedes Mal wie ein weißes Blatt Papier. Man schaut dann gemeinsam wie es weitergeht.
In der ersten Welle haben wir teilweise auch draußen vor den Fenstern der Leute gespielt, was gut angenommen worden ist. In der zweiten Welle war dann in einige Einrichtungen wegen der schwierigen Gesamtsituation nicht mehr so einfach möglich.

Fällt Ihnen ein konkretes Beispiel einer solchen Begegnung ein?

Eine ältere Dame wollte einmal unbedingt, dass ihre Eltern zu Besuch kommen. Sie war ein bisschen sauer, dass sie nicht kamen an diesem Tag, weil es ihr nicht gut ging. Dann haben wir sie gemeinsam angerufen. Das war für sie total befreiend und sie war glücklich.

Dann sind Sie also viel weniger Zirkusclown, sondern eher eine Art Vermittlerin, Seelsorgerin?

Ja, wir sind auch Vermittler für die Gefühle, wir versuchen sehr achtsam zu sein und gemeinsam eine andere Welt aufzubauen. Natürlich kann jeder immer auch nein dazu sagen. Es gab einen Mann, der hat immer abgeblockt und wurde laut. Dann habe ich sein Gefühl übernommen, wurde ebenfalls laut – da hatte er auf einmal total Lust auf eine Begegnung. Wir spiegeln also die Gefühle und erhalten so vielleicht einen Zugang zum Menschen.

Da ist es sicher nicht immer leicht, Beruf und Privat leben zu trennen?

Klar, es sind ja viele Gefühle, die jeden Tag so auf mich einströmen. Die Clownin kann damit super umgehen, aber der Mensch braucht dann auch mal eine längere Pause nach der Arbeit.

Wo darf man Sie als Clownin erleben?

Mein Beruf ist sehr vielfältig. Ich spiele auf der Bühne, in Pflegeheimen, auf Kongressen, mache Darbietungen, bin auf der Straße oder auch als Schul-Clownin an einer Dresdner Schule zu erleben. Zurzeit geht das nur per Internet, aber manchmal bis zu fünf Stunden am Tag. Da wechsele ich jede Stunde die Klasse. Zurzeit biete ich auch Clownsspaziergänge in die Natur für einzelne Personen oder Familien an. Und Workshops für Erwachsene, sobald es wieder geht.

Wie kam es, dass eine Französin in Dresden als Clownin arbeitet?

In Dresden bin ich jetzt schon seit 14 Jahren. Ich dachte damals, ich komme erstmal kurz an und schaue weiter, mache hier eine kleine Zwischenstation. Und dann sind eben 14 Jahre daraus geworden. Ich komme ja aus der Großstadt Paris, wo alles groß und schnell ist. Hier gibt es diese angenehme Langsamkeit und eine schöne Umgebung, die Heide und die Elbe. Das genieße ich sehr.

Wie halten Sie trotz Corona den Kontakt zu Ihrer Familie?

Per Telefon und Videochat. Wegen Corona war ich leider seit zwei Jahren nicht mehr bei meiner Familie und meinen Geschwistern. Ich war da auch immer sehr vorsichtig. Und gerade auch dadurch, dass wir Freiberufler sind, können wir nicht immer einfach sagen, ich nehme mir mal einen Monat frei. Außerdem haben wir viel Kontakt mit Menschen, da möchte man das Risiko einer Ansteckung möglichst minimieren.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Generell bin ich gerade dabei, mir neue Formate ausdenken. Aktuell arbeite ich an meinem „Wahrsagerbüro“. Meine Clownin kann nämlich auch in die Zukunft blicken. Man zieht von mir gestaltete Tarot-Karten für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Daraus male ich dann live eine persönliche Zukunftskarte. Auf diese Art kann man das, was vielleicht noch auf einen zukommt mit etwas mehr Gelassenheit betrachten.

Was schwebt Ihnen noch so vor?

Ein Traum von mir ist es, einmal eine Stadtteil-Clownin zu sein. Wir kommunizieren zurzeit so wenig, sehen und lesen jeden Tag schlechte Nachrichten. So könnte ich den Leuten in jedem Stadtteil gute statt schlechte Nachrichten überbringen.

www.yaelledorison.de

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Kulturgesichter Dresden

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