Anruf bei... Illustratorin und Künstlerin Kendike
Bei Augusto-Sachsen.de geben Veranstalter, Künstler und Gastronomen Auskunft über ihre Sorgen und Hoffnungen, Probleme und Wünsche in Zeiten der Corona-Krise.
Die Corona-Krise trifft Veranstalter, Künstler und Gastronomen besonders hart. Auf augusto-sachsen.de beantworten sie unsere Fragen zu den Auswirkungen, die die derzeitige Lage auf ihren Beruf und ihren Alltag hat. Am Freitag, 3. April 2020: Henrike Therheyden, die als Illustratorin seit 2011 unter dem Namen KENDIKE in Dresden zeichnet - für Aufträge oder für eigene Projekte.
Sie sagt über sich: KENDIKE steht für die Kondensierung von Inhalten in Zeichnungen und Illustrationen, analog sowie digital. Als zeichnende Kulturwissenschaftlerin entwickele ich ständig neue Formate für Kulturvermittlung, Visualisierung und im Bereich Animationsfilm, zuletzt für den Hamburger Bahnhof in Berlin, das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg oder die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Der Animationsfilm „Sealand“ (Regie Till Giermann) für den ich maßgeblich gezeichnet habe, erhielt 2019 einen von diesen wunderschönen Goldenen Reitern auf dem Filmfest Dresden.
Wie geht es Ihnen angesichts des absoluten Stillstands in Kunst und Kultur?
Ich finde es extrem wichtig und sinnvoll die Infektionsketten zu brechen, um dem System eine Chance zu geben mit dem Virus umzugehen. Die Kontaktsperre ist dafür ein ja auch schon wirksames Mittel. Wirtschaftlich trifft es mich, weil geplante Workshops zum Beispiel in Museen nicht statt finden können, oder Veranstaltungen abgesagt werden, für die ich Einladungen gestalten sollte. Gesellschaftlich trifft es mich, weil ich feststelle, dass Menschen neben der ganzen Solidarität auch wieder anfangen sich gegenseitig zu beäugen und abzuurteilen - wer hält sich am besten an die Regeln? Das, finde ich, ist eine gefährliche Entwicklung.
Was werden Sie heute tun?
Während wir sprechen, stehe ich im Wald. An einer Hand hängt ein Kind, das nicht in den Fluss fallen soll. Und während ich versuche, das In-den-Flussfallen auch für mein Handy und mein Gehirn zu verhindern, möchte mein größeres Kind wissen, was wir zu Essen dabei haben. Nach dem Mittagessen tue ich so, als hätte ich ein Home Office. Wenn es möglich ist, fahre ich am Nachmittag für zwei Stunden zum Zeichnen ins Atelier.
Und was hätten Sie heute normalerweise getan?
Ich hätte morgens die Kinder in den Kindergarten und zur Tagesmutter gebracht und wär dann von neun bis um drei im Atelier gewesen.
Gibt es schon einen Plan, wie Sie die unerwartete freie Zeit nutzen?
Welche unerwartete freie Zeit??? Wenn ich eins (neben Geld) aktuell nicht habe, dann ist das Zeit! Alles muss gleichzeitig geschehen, telefonieren, Anträge schreiben, die gefühlt fünfzehnte Spülmaschine des Tages anstellen, einem Kind aus der Jacke helfen, dem nächsten den Stift aus dem Ohr ziehen, mit dem Partner einen halben Satz wechseln, einkaufen (mit möglichst wenigen Familienmitgliedern) und dann habe ich noch nichts gezeichnet...
Lässt sich der zu befürchtende finanzielle Verlust irgendwie ausgleichen?
Für die Überbrückung helfen der Zuschuss des Bundes und der von der Stadt Dresden sehr. Auch Aktionen wie die Kampagne #supportyourlocalartists von Wir Gestalten Dresden sind eine große Unterstützung, weil Künstler*innen langfristig sichtbar gemacht werden können. Ich habe das Glück, das in meinem Fall viele Aufträge, Workshops oder andere Veranstaltungen verschoben werden können, und ich die geplanten Einnahmen für das nächste Jahr erhoffen kann. Schwierig ist für mich, dass sich so schlecht planen lässt, bis wann die Zuschüsse reichen müssen, weil nirgendwo ein Ende der Einschränkungen in Sicht ist.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Dass es irgendwann aufhören muss.
Können Sie schon generelle Lehren aus dieser Erfahrung ziehen?
Ich stelle fest, wie viel möglich ist, wenn Menschen zusammen stehen und gemeinsam und solidarisch für eine Sache kämpfen. Ich hoffe, dass wir beim Wiederhochfahren unseres Systems einige Systembugs, die in der Krise sichtbar werden, vermeiden können. So entscheiden sich zum Beispiel aufgrund der PayGap viele Familien aktuell dafür, dass der besser vedienende Mann im Home Office arbeitet, während viele Frauen dafür die Kinderbetreuung übernehmen, weil am Ende mehr Geld für die Familie dabei raus kommt. Dadurch werden die Frauen, vor allem, wenn sie Künstler*innen oder selbstständig sind, sehr schnell gesellschaftlich unsichtbar und den nächsten Auftrag bekommt dann natürlich auch wieder der Mann, der dann seine Preise anheben kann und die PayGap noch ein Stück vergrößert. Ich habe gelernt, dass wir Dinge sehr schnell, sehr effizient und sehr entschieden ändern können, wenn es gesellschaftlich und politisch gewollt ist. Niemandem sind wirklich „die Hände gebunden“ wenn es drauf ankommt. Lasst uns also niemanden mehr an den Grenzen ertrinken, verhungern oder verdursten lassen. Internationale Solidarität ist offensichtlich möglich.
Gespräch: Frank Treue