Augusto fragt nach… im Blue Note Dresden
Inhaber Mirko Glaser über 101 Talkshows, die Entwicklung in der Dresdner Neustadt und die Besonderheiten von Zuhör-Konzerten.
"Wäre „die Dresdner Neustadt“ eine Sammlung wilder Geschichten, würden so einige mit „Im Blue Note…“ beginnen. Noch mehr würden so enden." Damit wirbt das Blue Note, der Jazzclub auf der Görlitzer Straße, für sich selbst. Seit 1997 ist es die Heimat des Jazz in Dresden: „Fernab von miefigem Sachsendixi ein weit geöffnetes Fenster in die große weite Welt. New Orleans, Chicago, New York, Kansas, von 1905 bis heute auf 74 Quadratmetern. Alles immer handgemacht." Dieser Spirit setzt sich auch im Getränkeangebot fort. Bodenständige Braukunst, ob aus Bayern oder Böhmen, über Longdrinks, Spirituosen, bis hinzu raffinierten Cocktails. Besonderes Augenmerk legt Inhaber Mirko Glaser seit Beginn auf das riesige Angebot schottischer Single Malts.
Mirko, bist du eher durch das Blue Note zum Jazz gekommen – oder durch den Jazz zum Blue Note?
Eher ersteres. Ich bin mehr mit Rock‘ Roll und Blues und Country sozialisiert worden. Als wir den Laden aufgemacht haben, lag der Schwerpunkt auf Boogie-Woogie und Blues. Wenn du aber eine Hochschule für Jazz in der Nähe hast, dann ist es schnell so, dass die Jazzmusiker und -Musikerinnen da sind. Das ging relativ fix, dass wir eine sehr wichtige Spielstätte für Jazz in Dresden geworden sind. Dabei sind wir keine reine Jazz-Spielstätte. 70 Prozent sind Jazz und 30 Prozent Singer-Songwriter und Blues. Auch Country, wobei dieser Begriff im Deutschen etwas verbrannt ist.
Fast jeden Tag hattet ihr Konzerte, aktuell nicht. Ist das eine Corona-Folge?
Nein, das ist sommerbedingt. Im September sind es 13 oder 14 Konzerte, ab Oktober ist eigentlich jeden Tag was. Dazu kommt das Blues-Festival im Oktober und im Dezember wieder das Focus Female Festival rund um Komponistinnen, Interpretinnen und weibliche Bands, das wir letztes Jahr erstmalig aufgesetzt haben. Wir müssen dabei noch schauen, welchen Effekt auf unsere Gäste die Fußball-WM um die Weihnachtszeit hat …
Würdest du sagen, dass ihr die Corona-Zeit abgeschüttelt habt oder hängt das noch nach?
Wir haben den Vorteil, dass der Laden so klein ist, dass du ihn vergleichsweise gut über Wasser halten kannst. Dazu kamen die starke Unterstützung für Kultureinrichtungen sowie Spendengelder. Das Klubnetz Dresden ist auch eine Hilfe. Ob es ganz überstanden ist, wird sich zeigen. Das Personal ist geblieben. Wir haben über die vielen Corona-Shows, die ich gestreamt habe, unser Publikum gehalten. Ich kann da nicht jammern. Jetzt werden wir sehen, was die Energiekosten machen.
Die Talkshows – wie ist das Feedback ausgefallen und deine Bilanz?
Am zweiten Tag des ersten Lockdowns habe ich die erste Talkshow gestreamt. Das Feedback war sehr, sehr gut. In der ersten Staffel haben um die 50 Leute live zugesehen, was im Streamingbereich wirklich gut ist. Es war auch eine Selbsttherapie, man konnte jeden Tag was machen. Heute bin ich stolz drauf, weil das ein schönes Zeitdokument ist. 101 sind es geworden.
Wie kommt ihr an Künstler für die Konzerte? Sprecht ihr sie an oder eher die euch?
Wir arbeiten viel mit jungen Künstlern speziell aus Dresden. Wir haben schließlich die Hochschule vor der Tür. Ich kriege viele, viele E-Mails und höre mir fast alles an. So entsteht ein Großteil des Programms. Es sei denn, es ist ein spezifischeres Ding wie das Focus Female, wo ich das Programm stärker kuratiere, da schaue ich, was es so gibt und spreche die Musiker gezielt an.
Merkst du bei den Umsätzen der Gastronomie, dass bestimmte Musikstile oder Konzertarten besser gehen als andere?
Naja, je lauter es ist und je partymäßiger, desto mehr wird getrunken. Das ist bei den Jazzsachen, die eher ruhiger sind, anders. Da sind die Leute mit zuhören beschäftigt. Das ist aber auch nicht unser Anspruch. Wir machen ja Zuhörer-Konzerte, haben dafür auch die Kärtchen daliegen, dass man ruhig sein soll. Wenn gespielt wird, wird halt zugehört. Das haben wir uns erarbeitet in den letzten 25 Jahren, da waren wir sehr zielstrebig und sehr erziehend auch. Diese Karte wird unter Musikern herumgereicht als Kultobjekt. Beim genauen Zuhören trinkt man auch andere Sachen. Die Leute bestellen mehr Cocktails und Wein in letzter Zeit, das ist auffällig. Das wird sich im Zuge der Energiepreiserhöhungen vielleicht noch einmal ändern, wenn das Geld knapper wird.
Gibt es nach den vielen Jahren Auftritte oder Gigs, an die du dich besonders erinnerst?
Das werde ich oft gefragt. Meine Standardantwort ist, dass für mich jedes Konzert nach wie vor ein Höhepunkt ist. Es gibt natürlich die Abende, wo ganz besondere Leute da sind. Wenn Kirk Fletcher hier spielt, oder Lars Schultz mit Lars Kutschke zusammen, das ist schon eine Nummer, wo noch mal eine Latte draufgelegt wird. Es gibt dann immer wieder die Überraschungen aus dem Nachwuchsbereich, da sind große Sachen dabei.
Gibt es klassische Wochentage, wo das Blue Note gut läuft? Oder ist es mehr ein Wochenendgeschäft?
Wir können uns auch über den Zulauf unter der Woche nicht beschweren. Wobei ich dazusagen muss, dass sich das Ausgehverhalten in Dresden und insbesondere hier in der Ecke schon verändert hat. Die Neustadt ist leider etwas reeperbahnmäßig verkommen. Es gibt ein paar Läden, wo ich hier gern hingehe. Es dominieren Spätshops und laute Läden mit Party, Party… Das ist schon krass. Ich will das auch auf keinen schieben.
Siehst du eine Möglichkeit, da irgendwie gegenzusteuern?
Nein. Das Problem ist ja hier, dass die meisten Häuser und Geschäfte nicht denen gehören, die darin leben. Das ist nach wie vor in Wessi-Hand. Und dem Münchner oder Frankfurter ist am Ende egal, was für ein Laden ihnen die Miete bezahlt. Ob Spätshop, Shishabar, Jazzclub oder Programmkino – egal, solange vermietet ist. Und jungen Leuten fehlt, beobachte ich, zuletzt hier das Interesse, hier etwas Neues aufzubauen. Es wird insgesamt erst einmal so bleiben, wie es ist.
Du hast vom Vorteil des kleinen Ladens gesprochen. Denkst du dennoch manchmal, mit einem größeren ließe es sich besser wirtschaften?
Der Laden rechnet sich so, wie er ist. Wir haben 1997 damit angefangen, dann wurde es noch bisschen mehr mit Neumanns Eis und den Tiki-Cafés zusammen mit Christoph Neumann. Eis ist eigentlich das, was wir hauptsächlich machen. Daher ist das Blue Note gut so, wie es ist. Es veranstaltet solide Kultur. Und so wollen wir es uns bewahren. Zudem kann ich im Zweifel auch einen Abend alleine machen. Ich mag es so, wie es ist.
In der Corona-Zeit habt ihr den kleinen Seitenraum mit Glühwein-Ausschank eingebaut. Habt ihr sonst Veränderungen oder Umbauten geplant?
Nein, eigentlich nicht. Wir haben vor der Schließzeit den Applaus-Award für Musikclubs gewonnen und das Preisgeld in die Technik gesteckt.
Eine letzte Frage, Mirko: Die Jazzkultur in Dresden, wie entwickelt die sich aus deiner Sicht?
Die ist ganz angenehm. Ich habe das Gefühl, dass die Musikhochschule langsam rauskommt aus dem eigenen Sumpf, es kommen wieder spannende Projekte. Unser Publikum ist hier bunt gemischt. Es war schon immer unsere Agenda, Leute reinzulocken, die erst gar nicht wissen, dass es um Jazz geht. Und dann merken, was da alles passieren kann. Übrigens: Was einen regelrechten Jazz-Hype unter Jüngeren ausgelöst hat, sind Netflix-Serien! Durch entsprechende Soundtracks kommt er in den Medien mehr vor als vorher – also in denen, die junge Menschen konsumieren. Und die Kids, die hier studieren, sind auch cool. Und bringen das mit rein.
Blue Note Bar
Görlitzer Straße 2b
01099 Dresden
Telefon: 0351 8014275
E-Mail: [email protected]
Internet: www.jazzdepartment.com
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