Augusto fragt nach ... in der Obermühle Görlitz
Das Gastro-Unternehmen von Jörg Daubner setzt auf nachhaltige Service-Qualität in mehrfacher Hinsicht. Gegen die visionäre Unternehmensphilosophie kommt nicht mal Corona an.
Die Obermühle in Görlitz hat eine jahrhundertelange Tradition. Bereits 1305 wurde an gleicher Stelle die Mühle zu Kuntzendorf errichtet, wo man sich fortan der Kraft der Neiße zur Mehlherstellung bediente. Nachdem 1830 die Mühle einer Mehlexplosion zum Opfer fiel, wurde die Obermühle als solche neu errichtet. 1963 übernahm sie Ernst Apelt, der 1972 enteignet wurde. Nach der Wende erhielt die Familie die Mühle zurück, aber das Getreidemahlen war da schon kein einträgliches Gewerbe mehr. Also entwickelte Apelt-Tochter Susanne Daubner als studierte Lebensmitteltechnologin ein neues Geschäftsmodell. Zunächst mit einer Hausbrauerei und einem Ruderbootverleih - und ab 2001 mit einem Restaurant, das durch eine Veranstaltungsstätte auf dem historischen „Mehlboden“ und ein kleines Hotel mit 13 Zimmern ergänzt wurde. Seit 2016 führt Jörg Daubner (35) das Unternehmen. Der studierte Betriebswirtschaftler und Philosoph kocht auch selbst, aber vor allem setzt er mit seinem engagierten Team auf nachhaltige Service-Qualität, die trotz Corona die Zukunft einer ganzen Branche ausmachen könnte. Augusto hat mit ihm gesprochen.
Herr Daubner, was macht ein Philosoph am Kochtopf?
Er weiß mit Gewissheit, dass auch ein Wirtschaftsunternehmen wie die Obermühle in größere Zusammenhänge gestellt ist. Die Ressourcen der Erde sind nicht unendlich, was ja auch allgemeine Fragen der Lebenseinstellung berührt. Mein Geschäftsmodell trägt dieser Tatsache Rechnung.
Der Ertrag steht bei Ihnen nicht im Mittelpunkt?
Ohne ökonomischen Erfolg geht es nicht, da auch dieser Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie ist. Die Frage ist, wie man ihn dauerhaft sichert. Deshalb haben wir uns vom Fokus wettbewerbsorientierter Gewinnmaximierung verabschiedet. Wir arbeiten daher lieber mit anderen Gastronomen der Stadt Görlitz solidarisch zusammen. Zum Beispiel im gemeinsamen Projekt „RainKost“.
Was ist darunter zu verstehen?
Die Nachfrage nach regionalen Bio-Produkten wächst. Die Kundschaft will zunehmend wissen, was wir verarbeiten. Also, was liegt näher, als frisches Gemüse oder Kräuter gleich selbst zu produzieren. Unter „RainKost“ haben sich nach unserer Initiative neun Restaurants aus dem Görlitzer Raum gefunden, die auf knapp einem Hektar naturnahen Anbau praktizieren. Die Ökolandwirtschaft wird dabei von Experten begleitet, die langjährige Erfahrungen mit Permakultur und Biovielfalt haben. Und über die Görlitzer Werkstätten wird außerdem die Inklusion von Menschen mit Behinderung gesichert. Auf diese Weise gibt es viele Gewinner.
Wird Ihr Geschäftsmodell nicht gerade durch die Corona-Krise besonders bedroht?
Nicht besonders. Wir haben in den vergangenen Jahren im großen Stil investiert, aber in ein ausgesprochen zukunftsfähiges Unternehmen, zu dem zum Beispiel auch eine hauseigene Stromerzeugung gehört. Gerade diese Nachhaltigkeit wurde und wird ja auch von unseren Geldgebern honoriert.
Wie haben Sie und ihr Team den ersten Lockdown erlebt?
Er hat uns wie alle Gastronomen kalt erwischt. Vor allem, weil es bis dahin gar keine Erfahrungen mit einer solchen Pandemie-Situation gab. Sie war bis dahin undenkbar gewesen. Natürlich mussten wir im März 2020 fast unsere gesamte, etwa 25-köpfige Belegschaft in Kurzarbeit schicken. Zum Glück hatten wir mit der Kinder- und Schulküche ein weiteres Firmenstandbein aufgebaut. Ich habe mich dabei auf meine erlernten Fähigkeiten als Koch besonnen und konnte diesen Unternehmensteil über die Lockdown-Monate selbst abdecken. Normalerweise werden hier bis zu 800 Essen am Tag hergestellt. Zum Ende des ersten Lockdowns waren es in der Kita-Notversorgung immerhin schon wieder etwa 150. Auch die zinslosen Kredite der Sächsischen Aufbaubank haben uns geholfen.
Viele Gastronomen berichten im Augusto-Gespräch von einem sehr guten Geschäftssommer 2020. Sie auch?
Kurz vor Pfingsten ging es auch bei uns in die Vollen. Wir hatten im Sommer nicht nur alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder an Bord, sondern konnten sogar noch einen weiteren Bäcker einstellen. Die Auslastung unserer Hotelbetten und der Restaurantplätze innen und draußen war Spitze. An acht Sommertagen waren wir sogar total ausgebucht bzw. besetzt, das gab es sonst höchstens zweimal im Jahr.
Wie sind Sie über den Winter gekommen?
Wir haben die staatlichen Hilfen beantragt, die auch relativ zeitnah geflossen sind. Sie decken freilich nur einen Teil der Kosten. Inzwischen läuft die Mittagessenbelieferung ja wieder. Für mich war es wichtig, möglichst viele Beschäftigten schnell wieder in Arbeit zu bekommen, auch, wenn derzeit kein Deckungsbeitrag erwirtschaftet werden kann. Bestenfalls bilanzieren wir ein Plus-Minus-Null-Geschäft.
Treibt Sie wie andere Gastronomen die Sorge um, gute Fachkräfte zu verlieren?
Auch hierbei hilft uns in gewisser Weise unsere Unternehmensphilosophie. Wer zu uns gefunden hat, unterstützt das Gesamtprojekt nachhaltiger Gastronomie durch eine höhere Loyalität. Wir sind selbst ein sehr diverses Team, indem eine familiäre Atmosphäre herrscht. Aber natürlich muss es auch irgendwann mal wieder losgehen. Der Lockdown hat nun wirklich lange genug gedauert.
Haben Sie es auch mal mit einem To-Go-Angebot versucht?
Ja, zuletzt am Muttertagswochenende. Mit einer Menü-Speisekarte der gehobenen Küche. Zu Pfingsten könnten wir das erneut versuchen. Darüber wird dann auch auf unserer Homepage www.obermuehle-goerlitz.de zu lesen sein.
Obermühle Görlitz
An der Obermühle 5
02826 Görlitz
Tel.: 03581/879832
Mail: [email protected]
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