Die neue „Carmen“ in Chemnitz ist mitreißend: Frei, stolz und am Ende tot

Die Oper "Carmen" hat jetzt in Chemnitz Premiere gefeiert. Die Ex-Dresdnerin Arila Siegert macht die Vorstellung zu einem Fest für alle Sinne.

Sie verführt: Carmen (Sophia Maeno) in Chemnitz und der Star, ihr zu Füßen, Don José (Gustavo Pena).
Sie verführt: Carmen (Sophia Maeno) in Chemnitz und der Star, ihr zu Füßen, Don José (Gustavo Pena). © Nasser Hashemi

Von Jens Daniel Schubert

Sophia Maeno ist Carmen. Mit einer beeindruckenden gesanglichen und darstellerischen Leistung war die Sopranistin prägende Figur der gefeierten Premiere im Opernhaus Chemnitz. Im März 2020 sollte die Oper eigentlich herauskommen, der erste Lockdown kam zwischen Generalprobe und Premiere. Auch ein zweiter Versuch im Frühjahr dieses Jahres fiel Corona zum Opfer. Vielleicht ist diese lange und nachhaltige Beschäftigung mit dem Werk auch ein Grund für die außerordentliche Strahlkraft gerade der Musik dieses Opernabends.

An Maenos Seite glänzte Gustavo Pena mit klarem, scheinbar ermüdungsfreiem Tenor. In faszinierender Weise verbindet der Sänger Kraft und Glanz mit berührender Wärme. Die beiden Pole, die das Paar auseinanderreißen, wurden von Tatiana Larina und Thomas Essl verkörpert. Micaëla ist hier weniger das naive Landmädchen als eine selbstbewusste Frau. Escamillo erscheint mehr der umschwärmte Lebemann als der sportive Stierbezwinger.Mit den weiteren Rollen, dem Kinder-, Jugend- und Opernchor war ein hochkarätiges Gesangsensemble beisammen. Jakob Brenner am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie leitete die Aufführung umsichtig, traf Tempi und Stimmungen perfekt und gestaltete die musikalische Interpretation zu einem mitreißenden Opernfest.

Viel Poesie, oft bedeutungsschwer

Die optische Seite der Aufführung stammt vom bewährten Ausstatter-Gespann Marie-Luise Strandt und Hans Dieter Schaal. Zwei viertelrunde Traversenblöcke lassen sich auf der Bühne drehen und verschieben und bilden im wechselnden Licht Arena und Tribüne ebenso wie gefährlichen Gebirgsweg, Straßen und die Kneipe am Rande der Stadt. Die Kostüme ziehen die Geschichte nah ans Heute, ohne vordergründig modern zu sein, verzichten auf folkloristisches Spanien-Colorit, ohne dem Zuschauer die Möglichkeit zu nehmen, sich die erträumte Welt vorzustellen.

Die Inszenierung ist eine „typische Arila Siegert“. Die routinierte Regisseurin leitet Haltungen und Bewegungen, Vorgänge und Arrangements direkt aus der Musik ab. Dadurch entstehen immer wieder Choreografien und malerische Bilder. Diese geben der Inszenierung großen Schauwert und zwingenden Rhythmus. Dass die Ex-Dresdnerin Siegert dabei mehr als ihre Ausstatter das Erwartbare bedient, Klischees aufgreift, gehört ebenso dazu wie die manchmal befremdlich fehlende Logik und Natürlichkeit. Eine Operninszenierung ist Kunst, keine Widerspiegelung von Realität. Gerade in den Chorszenen wird die Künstlichkeit ausgestellt. Das gibt der Aufführung eine eigene Poesie, oftmals auch Bedeutungsschwere. Dazu gehören solche sich durchziehende Momente wie das lange rote Tuch, mit dem Carmen anfangs José in ihren Bannkreis zwingt, mit dem sie ihn einwickelt und fesselt und das schließlich die Blutlache um den Stier bildet, den Escamillo tötet. Zu diesen Symbolismen gehört auch eine mystische Figur, die durchs ganze Stück schreitet, ein grinsender Tod, ein Magier, der Realitäten ändert und auch noch die Rolle des Gastwirtes Lillas Pastia übernimmt.

Erstaunliche Momente

Dagegen finden sich in den Individualszenen, gerade zwischen den Protagonisten Carmen und José, immer wieder erstaunliche Momente, in denen die choreografierte Bewegung so nah an den eigenen Ausdrucksformen der Darsteller ist, dass packende, ehrlich bewegende, völlig natürlich wirkende Szenen entstehen.

Das Warten, das Durchhalten hat sich gelohnt: „Carmen“ in Chemnitz wird nicht nur vom Premierenpublikum mit stürmischem Beifall gefeiert werden.

  • Wieder am 2., 9. und 14. 10., 5 .11., 9. und 29. 12.; Kartentel. 0371 4000430