Augusto fragt nach... beim Frauenchor femmes vocales

Von unendlich sanft bis kraftvoll und ruppig - Wir sprechen mit Sylke Zimpel, der Leiterin von femmes vocales.

Von Marie-Luise Redlich
Femmes Vocales
Femmes Vocales © Hendrik Arnold

Eigenkompositionen, wunderbare Klangfarben, moderne Lyrik: Im Frauenchor femmes vocales kommen besondere Facetten der Chorarbeit zur Geltung. Eine Spezialität sind dabei moderne Volksliedbearbeitungen in nahezu allen europäischen Sprachen. Was an der Arbeit mit einem Frauenchor besonders begeistert, und was ein langer Spaziergang mit der Chorgründung zu tun hatte, verriet uns Leiterin Sylke Zimpel im Interview.

Ganz spontan: Was ist das Charakteristische, Typische an Ihrem Chor?
Sehr persönliche, moderne Frauenchormusik.
 
Sie haben femmes vocales 1994 gegründet. Was war der Anlass dazu?
Während meines Studiums in Lyon sang ich in einem tollen Frauenchor und habe auch selbst einige jiddische Mädchenlieder für dieses Genre bearbeitet. Auf dem Heimweg – zu Fuß nach Dresden – gingen mir diese Sätze wieder und wieder durch den Kopf. Und irgendwann wurde mir klar: Ich muss einen Frauenchor gründen! Ein Vierteljahr später gab es ihn...
 
Was gefällt Ihnen besonders an der Arbeit mit einem Frauenchor?
Musikalisch reizt mich z.B. das Register der tiefen Stimmen mit seinen wunderbaren Klangfarben, die im gemischten Chor ja eher selten zur Geltung kommen. Darüber hinaus fasziniert mich aber auch die enge Lage der Frauenstimmen mit ihren klanglichen Potenzen. Und natürlich hat die Arbeit im Frauenchor auch inhaltlich schöne Aspekte. Viele Texte, insbesondere solche aus Frauensicht, lassen sich hier sehr persönlich gestalten.
 
Welche musikalischen Vorlieben haben Sie bei der Chorarbeit?
Ein Teil unseres Repertoires besteht aus Stücken des 20. Jahrhunderts mit ihren häufig engen Klängen von unendlich sanft bis kraftvoll und ruppig – beides gehört zu uns.
Einen weiteren Teil bilden neben deutschen vor allem internationale Volkslieder in Originalsprachen und schönen, zumeist modernen Sätzen.
Und natürlich gehören auch Komponisten wie Clara und Robert Schumann, Fanny Hensel oder Johannes Brahms zu unserem Repertoire.
 
Wie gelingt das Erarbeiten internationaler Literatur? Die Einarbeitung ist doch bestimmt komplex.
Manche Sprachen kann ich selbst „bedienen“, für andere findet sich mitunter eine Spezialistin im Chor. Für Sprachen, die uns wirklich fremd sind – wie z.B. Lettisch – suchen wir uns Originalsprachler, die die Texte vorsprechen und ein wenig mit uns üben. Das hat übrigens zur Folge, dass unsere Mundwerkzeuge mittlerweile ziemlich gut trainiert sind...
 
Dafür braucht es auch eine große Offenheit von den Sängerinnen, oder?
Ja. Potentiellen Sängerinnen sage ich immer: Wenn ihr Angst habt vor Fremdsprachen, seid ihr bei uns nicht gut aufgehoben [lacht]. Die Offenheit ist da, und es macht natürlich auch Mühe. Als Chorleiterin muss ich Zeit einplanen für die Texte. Aber fremdsprachige Lieder sind eben auch eine Bereicherung – und sie machen sensibler für die eigene Sprache, die eigene Kultur.
 
Frau Zimpel, Sie sind Komponistin – schreiben Sie auch Stücke für Ihren Chor?
Natürlich – das war ja sozusagen der Gründungsanlass. femmes vocales hat viele Stücke von mir gesungen. Und ich habe viel – auch kürzlich in Lockdownzeiten wieder - für Frauenchor komponiert.
 
Was reizt Sie daran, für Ihre Sängerinnen zu komponieren?
Wir suchen ja immer nach Stücken, die heutiges Empfinden formulieren und irgendwie die Gefühls- und Gedankenwelt heutiger Frauen spiegeln. Das ist nicht nur, aber auch eine Frage der Texte. Also schaue ich vor allem in den Bereich moderner Lyrik: Wo gibt es Poesie, die uns entsprechen könnte? Und natürlich habe ich dabei femmes vocales im Hinterkopf: Ich weiß einfach ziemlich genau, was wie klingt oder klingen kann.
 
Was genau meinen Sie mit „moderner Lyrik“?
Lyrik aus dem 20. Jahrhundert, z.B. von Rose Ausländer, Sarah Kirsch, Friederike Mayröcker, Róža Domašcyna, Luisa Famos oder auch Michael Donhauser, der kürzlich wunderbare textliche Neufassungen von zwei Volksliedern für uns geschrieben hat.

Sylke Zimpel ist Gründerin und Leiterin des Chores.
Sylke Zimpel ist Gründerin und Leiterin des Chores. © Anke Heber

Wie würden Sie das Profil der Sängerschaft beschreiben?
Wir sind gut 20 Sängerinnen, gerade gibt es drei neue Interessentinnen. Mehr als 25 waren wir aber wohl nie. In der Altersstruktur geht es von jung bis an die 70 heran. Die Besetzung ist relativ stabil. Es ist eine wunderbare Gruppe, die sehr zusammenhält. Alle sind total unterschiedlich – wir üben uns also in Diversität – aber wir haben eine eigene, gemeinsame Sprache: die Musik.
 
Warum funktioniert die Gemeinschaft trotz der heterogenen Altersstruktur so gut?
Ich denke, das ist eine Frage der gegenseitigen Akzeptanz, Achtung und Wertschätzung. Das war bei femmes vocales nie ein Problem.
           
Was glauben Sie, ist für Ihre Sängerinnen der Hauptbeweggrund, Mitglied dieses Chores zu sein?
Da sind wohl einerseits die sensiblen, feingliedrigen oder auch kraftvollen Klänge, die die Frauen mitgestalten können. Aber auch die poesievollen und vielschichtigen Texte, an denen man sich gut „abarbeiten kann“, werden eine Rolle spielen.
Und einen weiteren möglichen Grund sehe ich darin, dass wir sehr in die Tiefe arbeiten – nicht nur musikalisch. Ich lege viel Wert darauf, dass die Frauen das Persönliche nicht ausblenden, sondern ihr Denken und Fühlen in die Stücke mit einfließen lassen, wodurch die Lieder am Ende auch viel Persönliches atmen. Ich denke, auch das ist für viele wichtig.
 
Welche Projekte, Konzerte oder sonstigen „Highlights“ sind für 2022 geplant?
Ende Mai waren wir beim Deutschen Chorfest in Leipzig, wo wir ein Konzert des Sächsischen Chorverbandes mitgestaltet haben, das sich den „DDR-Komponisten“ vor und nach der Wende widmete.
Im September wollen wir uns am „Parzellenpop“ einer Striesener Gartenkolonie beteiligen – und dann hoffen wir sehr, 2022 endlich wieder Adventskonzerte geben zu können, so im Schloss Gröditz bei Bautzen und im Chinesischen Pavillon in Dresden.
 
Wie sieht das Chorleben denn im „Normalfall“ aus?
Gesetzt sind bei uns sind die jährlichen Adventskonzerte. Darüber hinaus geben wir ein bis zwei größere Konzerte im Frühjahr oder Frühherbst. Manchmal werden wir auch für kleinere Anlässe zwischendurch angefragt. Im Schnitt machen wir also fünf bis sechs Konzerte im Jahr. Zuletzt konnten wir im Oktober 2021 mit zwei schönen Konzerten unser 25-jähriges Jubiläum nachfeiern – freilich etwas verspätet...
 
Worüber haben wir noch nicht gesprochen?
Über unsere Reisetätigkeit. Das Wort ist zwar etwas hoch gegriffen, aber dennoch: Es gibt Chorreisen bei femmes vocales. So haben wir bereits mehrmals am Niederrhein konzertiert. Es gab Freundschaftskonzerte mit anderen Chören, wie z.B. mit dem „Damenchor Chur-Süd“ aus Graubünden oder dem Frauenchor „Cantica Bohemica“ aus Litoměřice. Und nicht zuletzt wären hier auch unsere gemeinsamen Konzerte mit Männerchören in Leipzig oder Zwickau zu nennen. D.h. wir reisen durchaus – nur nicht sehr häufig. Aber das sind dann wirkliche Highlights, die uns eine gute Weile tragen.
 
Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen und Monate?
Ich wünsche mir, dass das Proben weitergehen darf und die Corona-Beschränkungen nicht wieder verschärft werden. Ich wünsche mir, dass diese Spaltung in Geimpfte und Ungeimpfte hinfällig wird. Eine solche Spaltung tut dem Klima der Gemeinschaft überhaupt nicht gut – und hinterlässt auch Spuren. Wir sind noch dabei, uns wieder zu finden.