Augusto fragt nach... bei Anima Nordica
Ein ganzer Kosmos, in dem es vor wundervoller Musik nur so brodelt...
Nach vielen Jahren im schwedischen Göteborg kehrt der junge Chorleiter Stephan Schönfeld nach Deutschland zurück – und mit ihm Spuren skandinavischer Musik: 2017 gründet er das nordische Chorprojekt ‚Norden Runt‘, wenig später den nochmals anspruchsvolleren Kammerchor ‚Anima Nordica‘ als Schwesterprojekt. Beide Chöre sind angesiedelt an der Kirchgemeinde Dresden-Blasewitz. Worin der besondere Zauber moderner nordischer Musik liegt, und was man in Deutschland noch von schwedischer Chormentalität lernen kann, haben uns Leiter Stephan Schönfeld (St.S.) und Mitsänger Christoph Zöllner (C.Z.) im Gespräch erzählt.
Wenn Sie Ihrem Chor spontan eine Überschrift geben – was kommt Ihnen als erstes in den Sinn?
St.S.: Herzensprojekt. C.Z.: Kreativ.
Wie kam es ursprünglich zur Gründung des Chores?
St.S.: Ich habe gut zehn Jahre in Schweden gelebt, habe da Chorleitung studiert und mich sehr heimisch gefühlt. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland hatte ich ein tiefes Bedürfnis danach, etwas Skandinavisches bei mir zu behalten. Ich wollte Kontakt halten zu dieser Musik, mit der ich so verwachsen war.
Zunächst initiierte ich 2017 das Benefizprojekt Norden Runt – das war auch meine Beschäftigung in der Elternzeit [lacht]. Das erste Konzert mit Norden Runt war dann brechend voll, als hätte ich damit in ein Wespennest gestochen! Diese Musik stieß auf so viel Interesse, dass ich mich entschied, dieses Ensemble fortzuführen, und wenig später entstand zusätzlich Anima Nordica als ein weiteres Projekt.
Herr Zöllner, wie hat es Sie zu Anima Nordica verschlagen?
C.Z.: Da gibt es eine persönliche Anekdote: Im Sommer 2017 war ein schwedischer Universitätschor aus Göteborg zu Gast und gab ein Konzert in der Heilig-Geist-Kirche. Bei diesem Konzert gab es Aushänge, dass ein mir damals völlig unbekannter Stephan Schönfeld zu einem nordischen Chorprojekt ‚Norden Runt‘ einlädt. Das war so geschrieben, dass ich sofort dachte: Toll, das probiere ich mal. Ich machte also mit bei Norden Runt, und daraus ist wenig später noch Anima Nordica – als Schwesterchor – entstanden. Wo ich nun auch mitsinge.
Warum braucht es zwei verschiedene Chöre, worin liegt der Unterschied?
C.Z.: Die Charakteristiken sind unterschiedlich: Norden Runt macht auch mal etwas mit theatralischen Aspekten oder mit Raumgestaltung, und ist grundsätzlich offen für alle SängerInnen, die sich melden und das wollen. Bei Anima Nordica sind wir kleiner besetzt. Da behält Stephan sich bewusst vor, die Leute kennenzulernen und gezielter auszuwählen, weil wir anspruchsvolleres Repertoire erarbeiten.
St.S.: Mein besonderes Steckenpferd ist vielstimmige, zeitgenössische Chorlyrik aus Schweden. Mit Anima Nordica möchte ich ein Ensemble entwickeln, das dieser Musik gewachsen ist - nach schwedischem Maßstab und Vorbild. Hierfür ist eine gewisse Fokussierung notwendig.
Als Gegenstück dazu ist Norden Runt bewusst experimenteller und vom Spektrum her breiter, da geht es von Island bis ins Baltikum – ganz Nordeuropa. Ich verfolge dort einen anderen künstlerischen Ansatz: auf kreative Weise Textinhalte auf der Bühne erlebbar machen – durch Form, Licht, szenisches Gestalten, … das darf gerne auch mal etwas verrückt sein.
Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Leitender?
St.S.: Bei Anima Nordica bin ich quasi „nur“ Chorleiter, während ich mich bei Norden Runt in einer Rolle ausprobiere, die irgendwo zwischen Choreograph und Kreativcoach liegt. Es macht mir Freude und fordert mich heraus, auf verschiedene Weisen zu arbeiten und mit unterschiedlich homogenen Gruppen. Ich wollte die eine Art für die andere auch nicht hergeben, weil sie beide ihren ganz eigenen Reiz haben.
Das ist sicher aufwändig, zwei Chöre parallel zu leiten?
St.S. Ich mache das im Wechsel, sonst schaffe ich es gar nicht. Im Frühjahr mache ich meistens Anima Nordica, Norden Runt kommt danach im Herbst und wir konzertieren dann im November. Da sind wir mit Norden Runt etwas antizyklisch: Die meisten Chöre konzertieren ja besonders viel in der Vorweihnachtszeit, und im November ist in der Chorlandschaft etwas weniger los – das ist die zeitliche Kerbe, die ich nutze. Ein Weihnachtskonzert in dem Sinne machen wir also nicht. Und dann kommt eine Winterpause.
Warum diese Winterpause?
St.S.: Die Weihnachtszeit nutze ich ganz klar für die Familie. Und ich schätze auch die Zeit, in der ich in mich gehen und Repertoire wälzen kann. Das hat für mich viel Regenerationscharakter: Ich mache mir sehr viele Gedanken über die Programme, möchte diese eng verweben und einen roten Faden haben.
Was begeistert Sie an nordischer, insbesondere schwedischer Musik?
St.S.: Nordische Musik ist ein ganzer Kosmos, in dem es vor wundervoller neuer Musik nur so brodelt. In ihrer modernen Musik findet man noch die Verbindung zu Volksliedgut, ohne die in Deutschland spürbare Zäsur der Nazizeit. Volkstümliches ist dort noch sehr lebendig, und die Musik ist ungekünstelt und nah am Menschen. Zeitgenössisch heißt nicht, dass es unbedingt ‚anders‘ oder avantgardistisch ist. Sondern die Musik kommt aus der Mitte des Lebens und trägt Texte, die wirklich etwas zu sagen haben – auch für unsere Zeit.
Woher nehmen Sie die Literatur?
St.S.: In erster Linie aus schwedischen Verlagen. Teilweise kommen die Stücke aber auch aus der Schublade: Ich kenne Komponisten, bei denen ich weiß, dass einige Noten noch nicht veröffentlicht wurden. Das sind dann auch mal Sachen, wo wir zumindest in Deutschland die ersten sind, die das aufführen. Ich vergleiche das gern mit einer unberührten Schneedecke, in die man seine Spuren setzen kann.
Auch für die Dresdner Chorszene ist dieses Repertoire etwas Besonderes, denke ich. Das ist aber nur ein schöner Nebeneffekt. Entscheidend ist, ob mich ein Stück anspricht, musikalisch und inhaltlich, und ob es das Programm bereichert.
Wie würden Sie das „Profil“ der Sängerschaft beschreiben?
St.S.: Wir singen viel achtstimmiges Repertoire und das Ensemble soll klein genug sein, so dass jeder einen merkbaren Unterschied macht. Daher hat der Chor eine Zielgröße von 24 SängerInnen. Wir haben viele Instrumentalisten bei uns, vor allem Streicher. Das verwundert auch nicht: Für Anima Musica braucht es eine sehr gute musikalische Vorbildung, und die meisten Streicher hören ja sehr gut. Deshalb ist auch mein Credo: Die Eignung, gute Ohren und menschliche Passung sind mir wichtiger als ewig lange Chorerfahrung. Und da wir sowohl Gottesdienste als auch Konzerte gestalten, sollte man sich mit beidem wohlfühlen
Herr Zöllner, was ist Ihr persönlicher Beweggrund, Mitglied bei Anima Nordica zu sein?
C.Z.: Der erste Kontakt war wie gesagt zufällig. Jetzt ist es so: Ich habe viel Chorerfahrung aus Gemeindechören. Da liegt der musikalische Fokus oft im klassischen und romantischen Bereich, da ist man also – bei allem Respekt – irgendwo auch begrenzt.
Bei Anima Nordica habe ich auch als routinierter Sänger einer Musikerfamilie eine echte Herausforderung, muss manches tatsächlich richtig üben. Ich erlebe das als schönen Ausgleich zu meinem Ingenieursberuf. Ich merke, wie das Gestalten dieser Musik mich stärkt und mein Leben bereichert. Aber auch, dass wir uns als Menschen in aller Unterschiedlichkeit zusammenfinden und eine gute Gemeinschaft haben, schätze ich sehr.
St.S: Oft hört man ja: Es kann nur eines geben – einen guten Chor, oder ein gutes soziales Miteinander, beides gemeinsam ist schwer. Was ich erlebt habe, ist aber: In Schweden ist es selbstverständlich, dass beides zugleich gelingt. Es bedingt einander: Diese typisch nordischen, freien und farbkräftigen Klänge profitieren sehr davon, wenn es zwischenmenschlich keine Spannungen gibt und man sich aufeinander einschwingen kann.
An welchem Projekt arbeiten Sie gerade?
St.S.: Das aktuelle Projekt wird sich in drei Phasen gliedern, und dieser Dreiklang trägt die Titel „Streben“, „Spuren“ und „Klänge“. Gerade arbeiten wir als Frühjahrsprogramm an „Streben“. Die Idee dahinter sind die Fragen: Wonach streben wir als Menschen, was treibt uns an? Welche Spuren hinterlässt das in uns selbst und in unserer Umwelt? Was bleibt als Nachklang? Dieses Programm ist sehr farbig, sehr weitgefächert. Es ist vermutlich das anspruchsvollste Programm, das wir bisher gemacht haben, aber auch das spannendste und schönste.
Woher kommen diese Ideen? Von Ihnen als Leitung, oder aus dem Chor…?
C.Z: Die Grundidee kommt von Stephan, darüber brütet er ja während der Wintermonate. Wir haben als Chor eine kleine Leitungsgruppe, die organisatorisch zuarbeitet und ein Gegenwicht zum „kreativen Chaos“ Stephans bildet. Aber grundlegend kommen die Konzepte von ihm, und das wird auch immer vom Chor angekommen.
Gibt es noch etwas Wichtiges, über das wir noch nicht gesprochen haben?
St.S.: Corona und auch der Kriegsausbruch in Europa haben bei vielen Menschen ein Innehalten ausgelöst, das ich für sehr wertvoll halte. Das wirkt sich auch ganz praktisch auf unseren Chor aus: Wir hatten einige recht kurzfristige Absagen. Dadurch gibt es aktuell eine Unterbesetzung in Tenor und Bass. Neue Sänger können sich gern bei mir melden – vor allem, wenn man Interesse an A-cappella-Chormusik oder Kultur des Nordens hat.
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