Es geht ums Freuen, nicht ums Ärgern

Wie es dazu kam, dass ausgerechnet in der sächsischen Kleinstadt Dohna die Meister im "Mensch-ärgere-dich-nicht" würfeln.

In Dohna wird um den Sachsentitel gewürfelt. Felix Kretschmer (Mitte) aus Thiendorf gewann den Pokal vor zwei Jahren.
In Dohna wird um den Sachsentitel gewürfelt. Felix Kretschmer (Mitte) aus Thiendorf gewann den Pokal vor zwei Jahren. © Marko Förster

Ärgern kann man sich bei diesem Spiel schwarz und blau. Die rote Verpackung erinnert jedoch eher an die grübelnden Köpfe, die angestrengt auf die bunten Figuren schauen. Wenn die Würfel losrollen, können selbst harmonischen Familien die Türen knallen. Dabei hätte der Klassiker Mensch-ärgere-dich-nicht genauso gut Mensch-freue-dich genannt werden können: Es ist wohl eine Frage der Perspektive.

Ob mit oder ohne Ärger: Der Bestseller gilt als das Spiel der Deutschen schlechthin, über 90 Millionen Mal wurde es bundesweit verkauft. Dabei finden sich die Ursprünge schon im alten Indien. Dieses Jahr feiert der Erfinder ein Jubiläum - 150 Jahre wäre der Bayer Josef Friedrich Schmidt geworden. Er tüftelte 1907 in einem Münchner Garagenviertel solange, bis er eines der ärgerlichsten Spiele erfand. Das sahen wohl viele so, denn am Anfang verkaufte es sich gar nicht gut. Also brachte Schmidt es in die Lazarette, damit sich die verwundeten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg ablenken konnten. Dort wurde aus dem Ärger ein großer Spaß, der Siegeszug des Spielklassikers begann.

Zurzeit erlebt der Bestseller einen neuen Höhenflug, mehr als eine Million Mal wurde das Spiel im Corona-Jahr verkauft. Doch warum ist der Klassiker noch immer so beliebt? Bringt es Familien zusammen oder eher an den Rand der Verzweiflung? Und braucht der Sieger nur eine große Glückssträhne oder gehört auch taktisches Kalkül dazu? Antworten darauf finden sich in der Provinz. Die Stadt Dohna scheint das sächsische Mekka für den Spiel-Klassiker zu sein:

In Dohna zocken die Meister

Wäre es ein ganz normales Jahr ohne Virus, würden um die Zeit in der Marie-Curie-Oberschule zu Dohna die Würfel rollen. Dort treten für gewöhnlich die sächsischen Profis gegeneinander an: im Mensch-ärgere-dich-nicht - kurz MädN. Seit mehreren Jahren werden in der Kleinstadt bei Pirna die sächsischen Meisterschaften organisiert. "Laufen mal anders" heißt das Motto. Hier wird also der Läufer über das Spielbrett gejagt. 200 Spielbegeisterte ärgerten oder freuten sich im letzten Jahr. Warum ausgerechnet Dohna, die zweitälteste Stadt im Freistaat Sachsen, das Zentrum der sachsenweiten Turniere ist, hat viel mit Zufall zu tun.

Die Wurzeln liegen bei Udo Schmitz. Der gelernte Pädagoge wohnt seit vielen Jahren in der Stadt. Zu seinem 20. Geburtstag bekam der gebürtige Rheinländer ein Brettspiel geschenkt: Hase und Igel, hieß es. "Da habe ich gemerkt, wie viel Spaß das macht", erzählt er begeistert. Schmitz bahnte sich seinen Weg in die Spielewelt und hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Seitdem verdient er mit dem Spielen Geld: Nicht etwa durch Wetten, sondern durch Spielemessen und Veranstaltungen. Verspielte Tage nennt der leidenschaftliche Spieler die Seminare, die wegen Corona zur Zeit komplett ausfallen.

Hier wird viel gespielt: Der Spielprofi Udo Schmitz aus Dohna organisiert die Mensch-ärgere-dich-nicht-Turniere
Hier wird viel gespielt: Der Spielprofi Udo Schmitz aus Dohna organisiert die Mensch-ärgere-dich-nicht-Turniere © Daniel Schäfer

Auch der Bürgermeister spielt mit

Vor knapp sieben Jahren traf Udo Schmitz auf Tilo Werner. Der ist verantwortlich für den Dohnaer Sportpokal: Gemeinsam kam man auf die Idee, den Pokal mit verrückten Ideen zu füllen: 2014 wurden dann erstmals die Spielbretter herausgeholt. In zwei verschiedenen Turnieren würfelte Alt gegen Alt und Jung gegen Jung . Geärgert wurde sich bei dem Spiel aber kaum. "Nur bei den Kindern flossen die Tränen", erinnert sich Bürgermeister Ralf Müller. Von einer kleinen Stadtmeisterschaft wandelte sich das Turnier in den Sachsen-Cup schlechthin. Dafür musste man sich bei der Firma Schmidt-Spiele die Erlaubnis einholen. Das Unternehmen hat die Rechte an dem Klassiker.

Udo Schmitz hatte so viel Freude an der Organisation, dass er bald auch in zehn anderen Bundesländern die Meisterschaften betreute: Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Thüringen - überall laufen die bunten Figuren um die Wette. Dabei holt Schmitz für sich selbst lieber andere Spiele aus dem Regal: "Ich bevorzuge strategische Spiele." Inwiefern "MädN" dazu gehört, ist fraglich.

60 Prozent Glück und 40 Prozent Taktik

Schmitz glaubt nicht, dass nur Glück zum Sieg gehöre. Demnach sei es kein Zufall, dass immer wieder bekannte Gesichter in den oberen Plätzen landen. "Mensch-ärgere-dich-nicht" hat nicht nur mit Glück, sondern auch mit Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun", sagt er überzeugt.

Bürgermeister Müller, der selbst bei den Meisterschaften mitspielt, fügt hinzu: "Zu 60 Prozent ist es Glück und zu 40 Prozent Taktik." Die Zahlen variieren, je nachdem, wen man fragt. Eine Gruppe aus Thiendorf bei Radeburg trainiert wöchentlich für die Meisterschaften: Hier zeigt sich, dass es sich lohnt, das Ärgern zu üben: Schon oft ist das Team unter den Bestplatzierten gelandet - sogar den WM-Titel haben die Thiendorfer mal geholt. Der Thiendorfer Oliver Klug, der mit dem sächsischen Meister Felix Kretschmer trainiert, gibt zu: "Der Großteil ist Glück."

Ein Spiel, dass auch berühmte Persönlichkeiten ärgert: Uwe Steimle ist Meisterschafts-Botschafter in Dohna
Ein Spiel, dass auch berühmte Persönlichkeiten ärgert: Uwe Steimle ist Meisterschafts-Botschafter in Dohna © Marko Förster

Wer kennt schon die richtigen Regeln?

Was Udo Schmitz als erfahrener Spielleiter sehr interessant findet: 95 Prozent der Deutschen kennen den Klassiker, aber je größer die Masse, desto unterschiedlicher die Spielregeln. Bei den Meisterschaften wird übrigens nach den Originalregeln gespielt:

So darf die erste Figur bei Spielbeginn schon rausgestellt werde. Es geht gleich richtig los, ohne dass eine Sechs fallen muss. Es gibt keine Pflicht zum Rausschmeißen. Und, was vielleicht die wenigsten wissen: Man darf immer nur einmal würfeln - egal wie viele Figuren noch draußen stehen.

Warum das Spiel noch immer so begeistert, kann Schmitz nur erraten: "Fast jeder kann es spielen, im Alter von 6 bis 100. Man muss nur würfeln und bis sechs zählen können." Wer sich also beim nächsten Mal an das Spiel wagt, kann dabei seinem Rat folgen: "Es geht nicht ums Ärgern, sondern ums Freuen."