„Man muss die Musik besser kennen als die Künstler“

Mario Langer rückt als Beleuchter die Künstler ins richtige Licht. Auch die Initiative „Kulturgesichter Dresden“ konnte auf sein Wissen zurückgreifen.

Von Tom Vörös
Mario „Bonsai“ Langer ist einer von vielen Kulturschaffenden, die zurzeit nicht arbeiten können.
Mario „Bonsai“ Langer ist einer von vielen Kulturschaffenden, die zurzeit nicht arbeiten können. © Daniel Scholz / PR

In der Szene kennt man ihn unter dem Namen „Bonsai“. Mario Langer sorgt seit über drei Jahrzehnten dafür, dass man die Künstler live nicht nur gut hören, sondern auch gerne auf der Bühne sehen möchte. Im Interview erzählt der 48-Jährige von schweren Corona-Zeiten, besonderen Lichtdesigns, und er verrät, wie er zum Spitznamen „Bonsai“ kam.

Erinnerungen an bessere Zeiten halten die Hoffnung auf einen Neustart der Branche am Leben.
Erinnerungen an bessere Zeiten halten die Hoffnung auf einen Neustart der Branche am Leben. © Helge Roewer / PR

Herr Langer, wie ist Ihr Spitzname „Bonsai“ entstanden?

Ziemlich spontan: Ein ehemaliger Kollege sagte einmal zu mir, als ich gerade im Lager große, schwere Kisten über Kopf ins Regal gewuchtet hatte: „Ein Mann wie ein Baum, man nennt ihn Bonsai.“ Von da an nannte mich fast jeder in der Firma so, nicht gerade zu meiner Freude. Wenig später war ich mit Chris Norman auf Tour, u.a. in Hoyerswerda. Dort gab es zwei Crews, eine in Deutsch eine in Englisch. Die englischen Kollegen hatten aber ihre Fähre verpasst. So musste ich die Technik fast ganz alleine aufbauen. Als mein englischer Lichtkollege endlich eintraf, stellte ich mich vor. Er konnte aber meinen Namen nicht aussprechen. Und so sagte ich der Einfachheit halber: „My name is Bonsai“. Als mich dann im Catering-Raum Chris Norman, mein DDR-Kinderzimmer-Idol aus Kessel Buntes-Zeiten mit „Hi Bonsai“ begrüßte, hatte ich kein Problem mehr mit meinem Spitznamen.

Wie haben Sie den Beginn der Corona-Pandemie 2020 erlebt?

2019 hatte ich noch meinen Abschluss nachgeholt, als Fachkraft für Veranstaltungstechnik. Vorher hatte mir das Know-How immer selbst angeeignet. Nach der Ausbildung konnte mich die Firma letztendlich nicht übernehmen und es gab es lange keine Jobmöglichkeit für mich. Als ich dann wieder einen Job hatte, fiel die Probezeit genau in die Corona-Zeit. Da war ich dann einer der ersten, die gehen mussten. Seither lebe ich von Hartz IV. Letztes Jahr hatte ich genau drei Veranstaltungen im Sommer, Partys und Konzerte in Dresden. 

Wie kann man sich den Arbeitstag eines Beleuchters vorstellen?

Das ist ganz unterschiedlich. Es kommt ganz darauf an, welchen Job man gerade hat und wieviel zu tun ist. Als Lichttechniker sitzt man ja nicht nur am Pult und drückt die Knöpfe für das Licht, sondern man verkabelt auch, hängt Lampen auf der Bühne auf und repariert sie gegebenenfalls. Normalerweise fängt man circa 10 Uhr damit an die Lichttechnik auf der Bühne zu installieren. Je nach Aufwand, kann das manchmal nach drei bis vier Stunden erledigt sein. Dann hat man frei, bis wieder abgebaut wird. Steht man aber am Misch- und Lichtpult, dann ist man die ganze Zeit, also auch während der Veranstaltung, beschäftigt.

Was macht Ihnen besonders Spaß an Ihrem Job?

Wenn man Konzertbesuchern eine Freude machen kann. Dass man mit den Künstlern zusammenarbeiten kann. Vor allem aber auch, dass man kreativ sein kann. Ein Beispiel: Anfang der 2000er-Jahre gab es diese Depeche Mode-Partys unter dem Namen „World Violation“. Dort haben wir mit speziellen Lichtkonzepten versucht, alte Shows der berühmten Band oder sogar Musikvideos nachzubauen. Das hat schon sehr viel Spaß gemacht und war eine schöne Herausforderung.

Was muss man für den Beruf an Talent mitbringen?

Grundsätzlich sollte man schon ein Gefühl für Melodie & Rhythmus haben. Die Leute sollten schon merken, dass da ein Mensch am Pult steht und kein Computer. Die Absprachen mit den Künstlern sind auch sehr wichtig. Manche Bands wollen bestimmte Farben nicht auf der Bühne. Und bei Theaterproduktionen oder Tanzshows gibt es spezielle Lichtkonzepte, Lichtdesigns, die ich zum Teil auch selbst entwerfe. Ausprobieren kann man sich auch mit Spezialeffekten wie Nebel- und Windmaschinen oder Trockeneisnebel, der in den 1980ern sehr beliebt war. Auch mit kleineren Pyro-Effekten. In dieser Richtung hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Und dadurch, dass die Branche zurzeit brachliegt, haben die Entwickler genug Zeit, diese Dinge noch weiterzuentwickeln.

Wie sind Sie zum Beruf gekommen?

Früher hieß der Beruf noch Theaterbeleuchter. Aber damals war ich noch jung und wollte nicht fest an einem Haus angestellt sein, sondern freiberuflich arbeiten und viel unterwegs sein. Circa 15 Jahre war ich selbstständig und in ganz Europa unterwegs. Danach war ich zehn Jahre festangestellt. In meiner Spitzenzeit habe ich acht Bands betreut, mit denen ich auch herumgereist bin.

Wo waren Sie auf Tour, gab es spezielle Erlebnisse?

Skandinavien fasziniert mich bis heute. In Schweden war ich mal mit der deutschen Metalband Kingdom Come unterwegs, die vor allem in den 1980ern sehr erfolgreich war. Etwas unschön für mich war, dass die Band jeden Tag die Abfolge ihrer Lieder änderte. Als fester Lichtmann muss man ja nach Möglichkeit alle Lieder beherrschen und im Kopf auch mitsingen und -spielen können, damit dann auch das Licht dazu passt.

Man muss also zum Fan werden?

Schlimmer. Man muss die Songs besser kennen als die Komponisten und Künstler selbst. Drei Wochen vor der Tour bekam ich die CD in die Hand und habe Lieder gelernt. Dabei hat mir meine frühere Zeit in der Theater-AG geholfen. Dort hatte ich mir für die Übergänge immer den letzten Satz aus einer Strophe gemerkt. Und so mache ich das bis heute auch bei den Songs.

Was könnte das Jahr 2021 aus Ihrer Sicht noch bringen?

Meine Prognose war, dass es zu Pfingsten wieder losgeht, aber das hat sich ja erledigt. Eher wird es wohl so laufen wie letztes Jahr, dass es im August/September und spätestens im Herbst losgeht, sobald viele durchgeimpft sind und die Zahlen wieder nach unten gehen. Da muss jeder für sich selbst abwägen, was einem wichtig ist. Ich möchte ja gerne wieder arbeiten. Und das heißt dann aus jetziger Sicht: testen oder geimpft sein. Ich habe im Grunde nichts dagegen geimpft zu werden. In dem Land, in dem ich aufgewachsen bin, in der DDR, gab es ja eine Impfpflicht, das hat ja auch irgendwie Sinn gemacht.

Was bedeutet für Sie die „Kulturgesichter“-Aktion?

Dass man endlich einmal sieht, was da eigentlich für Leute arbeiten und wie lange schon. Wichtig wäre noch zu erwähnen, dass die „Kulturgesichter“ nicht dafür da sind, damit die Branche nach Geld „bettelt“, sondern dass sie nicht vergessen werden. Das ist auch das Schöne an den „Kulturgesichtern“: Die Sekretärin weiß eigentlich nie, was bei der Konzertproduktion alles hinten dranhängt, wer alles im Hintergrund beteiligt ist. Die meisten sehen nur die Künstler auf der Bühne und maximal noch die zwei Leute, die an den Reglern sitzen. Dabei sind viele den ganzen Tag damit beschäftigt, Dinge aus- und einzupacken, die Technik zu pflegen und eventuell Geräte zu reparieren. Durch die „Kulturgesichter“ sehen die Leute einmal ganz deutlich, was da alles für Gewerke und Berufe dahinterstehen.

Betrachten Sie und Ihre Kollegen die Aktion durchweg positiv? Oder gibt es auch Skeptiker?

Vorwiegend positiv, ja. Es gibt aber auch Leute, die nehmen die „Kulturgesichter“ eher als Bettelaktion wahr und sagen: Man muss in Deutschland nicht betteln, sondern kann ja Hartz IV beantragen. Aber die Realität sieht gerade in unserem Beruf oftmals so aus: Wenn man eigenes Equipment wie Lampen oder Pulte besitzt, dann braucht man dafür Lagermöglichkeiten. Und das ist mit dem Hartz IV-Satz nur schwer realisierbar. Ich selber habe nur meinen Werkzeugkoffer im Keller. Aber ich habe Freunde, die wesentlich mehr Arbeitsmaterialien zu verstauen haben. Letztes Jahr wollte ein Kollege Hartz IV beantragen und bekam dort zu hören, dass er doch in Erwägung ziehen sollte, seine Lampen, den Transporter und damit seine Lebensgrundlage zu verkaufen. Nach einer Woche hatte sich die Person aber dafür entschuldigt. Das ist aber so ein Beispiel, an dem man sieht, dass nicht immer alles so funktioniert, wie es sich die Politik manchmal gerne vorstellt.

Wie hilft man sich zurzeit und generell unter Kollegen?

Oft ist es so: Hat man aktuell keine Aufträge, dann fragt man herum und bekommt in der der Regel recht schnell einen Job vermittelt. Es gibt da keinen Neid untereinander, sondern man hilft sich wo man kann und hält zusammen.

Waren Sie als Beleuchter auch aktiv Teil der „Kulturgesichter“?

Ich habe das Panorama und das Fotostudio für die Foto-Shootings mitgestaltet. Da ich den Alten Schlachthof ziemlich gut kenne, wusste ich auch gleich, wo alles steht. Die Beleuchtung war sehr wichtig, denn die Fotos sollten ja möglichst gleich aussehen, obwohl sie in zwei verschiedenen Studios entstanden sind. 

Hier geht's zur Spendenaktion:

www.startnext.com/kulturgesichter-dresden

Kulturgesichter Dresden

www.kulturgesichterdresden.de

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